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Restwerte, oder Baureste?

In der Gutachten- und Regulierungspraxis haben sich Relikte aus alten Zeiten gehalten, die den Versicherungsnehmer, insbesondere bei Teilschäden, stark benachteiligen.

Die Stichworte sind

  • Restwerte und
  • Restwertgewinnungskosten

Wenn diese Positionen in den Sachverständigengutachten eine größere Rolle spielen, ist eine Überprüfung der Gutachten anzuraten.

 

Restwerte

Restwerte mindern den Schaden, durch Veräußerung nicht wiederverwertbare Baureste.

Für den Versicherungsnehmer ist dies in der Bilanz neutral, weil er ja den Veräußerungsgewinn der Baureste erhält.

Bei der Ermittlung des Zeitwertes werden die Restwerte nicht abgemindert, Restwerte reduzieren den Neuwertschaden wie den Zeitwertschaden gleichermaßen.

Restwertgewinnungskosten reduzieren den Restwert. Beispiel: nach einem Brand enthält das Gebäude nicht wiederverwendbare Stahlträger, die im Verkauf 1.000,00 € frei Hof des Schrotthändlers bringen. Der Transport kosten 100,00 €, ist gewissermaßen die Gewinnung des Restwertes und reduziert den Restwert auf 900,00 €.

 

Einfach! Aber:

In der Gutachten- und Regulierungspraxis haben sich Relikte aus alten Zeiten gehalten, die den Versicherungsnehmer, insbesondere bei gewerblichen Risiken, stark benachteiligen können.

Das Problem liegt in der parallelen Anwendung und Vermischung

  • alter und
  • aktueller Allgemeine Feuerversicherungs-Bedingungen (AFB).

Nachfolgend soll der Begriff "Restwerte" in den unterschiedlichen Fassungen der Allgemeinen Feuerversicherungs-Bedingungen dargestellt werden.

 

AFB 30

Die AFB 30 aus dem Jahre 1930 definiert:

 

 § 3 Ersatzwert, Unterversicherung
(1) Die Versicherung darf nicht zu einer Bereicherung führen. Maßgebend für die Entschädigung ist der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Schadensfalles (Ersatzwert), und zwar bei beschädigten Sachen der Unterschied zwischen diesem Wert und dem Wert der Reste, bei dessen Ermittelung die Verwendbarkeit der Reste für die Wiederherstellung zu berücksichtigen ist. ...
(Prölss/Martin/Kollhosser AFB30 3, beck-online)

 

Diese Definition hat sich gehalten bis zum Erscheinen der AFB 87; noch in der Fassung der Allgemeine Feuerversicherungs-Bedingungen  (AFB 30- Fassung 12/1986) von 1986 ist § (1) im gleichen Wortlaut enthalten.

 

 

AFB 82 (Entwurf 4 - Oktober 1983)

Die Änderungen in den Bedingungen AFB 87 wurde mehrere Jahre in der Versicherungswirtschaft und in den interessierten Kreisen diskutiert (z.B. Prof. Dr. Norbert Horn, "Die Allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen (AFB) und das AGB-Gesetz", Juni 1984, Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens mbH, Hamburg). So gab es im Jahre 1982 einen Entwurf AFB 82. In der Version Entwurf 4 vom Oktober 1983 finden wir folgende Regelung:

 

§ 11 Entschädigungsberechnung; Unterversicherung 

 

......
Restwerte werden angerechnet.

 

Eine Definition der Restwerte wie in der AFB 30 ist nicht mehr vorhanden.

 

 

AFB 87 ff

Mit der AFB 87 wird nachfolgender Paragraph gültig in den Versicherungsbedingungen:

 

§ 11 Entschädigungsberechnung; Unterversicherung 

 

......
Restwerte werden angerechnet.

 

 

AFB 2010

Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung  (AFB 2010), Version 01.04.2014 GDV 0100

 

  • § 8  Umfang der Entschädigung

 

a) Der Versicherer ersetzt... (Sachschaden, d.A.)
b) Öffentlich-rechtliche Vorschriften .. (Problematik Mehrkosten durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen, d.A.)
c) Der erzielbare Verkaufspreis von Resten wird bei der Entschädigungsberechnung gemäß a) und b) angerechnet.

 

und weiter

 

  • § 10 Sachverständigenverfahren

 

4. Feststellung

Die Feststellungen der Sachverständigen müssen enthalten:
...
c) die Restwerte der vom Schaden betroffenen Sachen;
...

 

 

Restwerte in den anderen Sachversicherungsbedingungen

Auf Zitate aus Wohngebäudeversicherung wie VGB 2016, gewerbliche Bedingungen wie AStB, AWB aber auch AERB wird hier verzichtet, die Regelungen sind wortgleich enthalten.

 

Literatur

Nach Anton Martin, Sachversicherungsrecht (1992), R II 24 sind der Wert der Reste der durch den VN erzielbare Verkaufspreis der Reste:

 

" Nicht gemeint ist hingegen der Wiederverwendungswert von Resten, bei Gebäuden also der sog. Bauwert der Reste. Soweit Reste nämlich bei der Wiederherstellung wieder verwendet werden und dies die Wiederherstellungskosten vermindert, kommt der Bau- und Wiederverwendungswert der Reste bereits in einem entsprechend niedrigerem Betrag der zu entschädigenden Reparaturkosten zum Ausdruck und kann nicht noch zusätzlich "angerechnet" werden."

 

Dies hat Martin schon 1992 in seiner dritten Auflage dargestellt. Nicht umsonst ist Martins Sachversicherungsrecht das Vademecum des Sachverständigen (er soll übrigens in diesem Jahr neu erscheinen, wir weisen dann darauf hin).

 

Ostangelschen Haus- und Mobilien-Brandgilde 1858
An dieser Stelle sei ein kleiner Rückblick erlaubt ins Jahr 1858 in die Versicherungsbedingungen der Ostangelschen Haus- und Mobilien-Brandgilde:

 

§ 7, Satz 1 "Was die Gebäude betrifft, so werden solche taxiert und für ihren vollen Taxationswerth in das Hauptbuch eingetragen und müssen dafür beisteuern, erhalten aber bei Brandschäden nur drei Viertel dieses Werts Entschädigung" und weiter

 

§ 25. Werthschätzung und Zurückgabe der geretteten Baureste. "Die bei einem Brande geretteten Baureste werden taxiert und dem Schadenleidenden zurückgegeben; der Taxationswerth aber wird ihm von seiner Vergütung abgezogen. ..."

 

Norbert Reimann. 2014. Schriftenreihe Berliner SchadenSeminar, Band 1, Gesetze der Ostangelschen Haus- und Mobilien-Brandgilde. München : Neobooks.com, 2014. ISBN-13 978-3-7380-0423-6. oder bei Amazon

 

Es bietet sich an, das, was viele als Restwerte bezeichnen, wie schon im Jahre 1858, als Baureste zu definieren.

 

 

Problemdarstellung

Das Problem bei der Schadensermittlung liegt in der Verquickung der AFB 30 mit den neueren AFB´s:

 

die verwendbaren Reste der AFB 30 werden als Restwerte in der AFB 87ff angerechnet!

 

Sachverständige äußern häufig, dass sie von Ihren Auftraggebern dazu angehalten werden (ein zu beachtender Punkt bei der Bewertung der Unabhängigkeit von Sachverständigen, der aufzeigt, dass Sachverständige im sogenannten Berater- oder Beiratsverfahren -diese Begriffe sind im Versicherungsrecht nicht enthalten- doch eindeutig Parteigutachter sind, was alle Beteiligten auch so kommunizieren sollten).


Die Problematik der Anrechnung der "stehen gebliebenen Restwerte" in der Schadenbewertung soll im nachfolgenden Beispiel dargestellt werden.

 

 

Beispielrechnung

Annahmen (Beispielberechnung)

 

Bezeichnung

Annahmen / Berechnung

Versicherungssumme:

1.000.000 € (für diese Summe ist das Gebäude versichert)

Versicherungswert:

2.000.000 € (das ist der objektiv festgestellte und unstrittige wahre Wert des betreffenden Gebäudes)

Unterversicherung:

50 % (die Unterversicherung ergibt sich aus dem Verhältnis von Versicherungssumme zum Versicherungswert).

Schaden angenommen:

1.000.000 € (unstrittig festgestellt im Beispiel)

"Restwert" wäre

1.000.000 € (diese Hälfte ist stehengeblieben und nicht weiter vom Schaden betroffen.

 


Wenn man diesen "Restwert" von der Schadensumme abzieht (Restwerte werden angerechnet!), bleiben für die Schadenabwicklung noch 0,00 €.
Tatsächlich aber wären es 50 % (wegen der Unterversicherung) von 1 Mio Schaden = 500.000 €

 

 

Sach- oder Kostenschaden

Die veräußerbaren Restwerte sind dem Sachschaden zuzurechnen und nicht dem Kostenschaden.
In der Praxis sind mit der Beseitigung dieser Restwerte die Abrissfirmen beauftragt, die Restwerte werden dann häufig mit den Abrisskosten verrechnet.
Beispiel: Restwerte aus verformten, nicht weiter nutzbaren Stahlträgern. Der erzielbare Stahlpreis reduziert die Abbruchkosten.
Diese Methode ist falsch und geht zu Lasten der Versicherungsnehmer: Der Kostenschaden ist auch bei einer Unterversicherung häufig zum ersten Risiko versichert, diese Reduzierung des Kostenschadens liegt daher nicht im Interesse des Versicherungsnehmers.
Wenn aber mit dem erzielbaren Einnahmen -wie versichert- der Sachschaden verkleinert werden kann, ist das im Interesse des unterversicherten Versicherungsnehmers.

 

 

Restwertgewinnungskosten

Ein trauriges Kapitel dieser Art von Sachverständigentätigkeiten sind die Restwertgewinnungskosten, ein Begriff, den es im Versicherungsrecht nicht gibt, der aber so verstanden werden kann, dass man einen Aufwand betreiben muss, um Restwerte zu erzielen. In der hier kritisierten Herangehensweise der Schadensberechnung sieht es so aus, dass in der Praxis ja keine wiederverwertbaren Teile vom Schaden verschont bleiben, meist hat man es an diesen Resten mit Verunreinigung von Rauch, Kontaminationen und Löschwasser etc. zu tun. Nun werden die Kosten, die erforderlich sind, dass diese Gebäudeteile (Reste) weiter nutzbar bleiben als Restwertgewinnungskosten die Schadenbilanz belasten.
Hier ist gleich ein doppelter Nachteil für die Versicherungsnehmerseite festzustellen:

 

  • bei den sogenannten Restwertgewinnungskosten handelt es sich um Aufräumungs- und Abrisskosten etc, die dem Kostenschaden zuzurechnen sind und häufig damit durch Versicherung zum ersten Risiko auch versichert sind.
  • die falsche Zurechnung zu den Restwerten als Abzugsposition zu den Restwerten erhöht den Sachschaden
  • bei einer Unterversicherung erhöht sich der eigentliche Kostenschaden, als Restwertgewinnungskosten deklariert, den Sachschaden, die Unterversicherung wird darauf angerechnet. Die Unterversicherungsquote steigt dann sogar noch für den gesamten Sachschaden.

 

Eine richtige Definition der Restwertgewinnungskosten: notwendige Kosten, die entstehen und den angebotenen Kaufpreis dieser Reste reduzieren; z.B. gilt der Kaufpreis für den Stahlschrott aus dem Beispiel oben frei Betriebshof Schrotthändler. Restwertgewinnungskosten wären nun der Transport des Stahls von der Schadenstelle zum Schrotthändler, der Restwert wird um diese Kosten reduziert.

 

Gelegentlich auftretenden Restwerte werden in der Praxis meist von den Sanierungsfirmen die den Abriss vornehmen direkt verrechnet, d.h. der Kostenschaden wird geringer. Bei der Auswertung der Rechnungen muss der Sachverständige diese Restwerte als Abzugsposition in den Sachschaden aufnehmen, die Summe reduziert den Sachschaden entsprechend.

 

 

Restwertgewinnungskosten und Estrichtrocknung

Bei der Diskussion meines Vortrages zur Mittleren Wertminderung bei der Wertminderungskonferenz des BVS in Fulda ging es darum, dass die Trocknung zum Kostenschaden und nicht zum Sachschaden zuzurechnen sei. Ein Kollege äußerte Bedenken und begründete das auch damit, dass die Restwertgewinnungskosten zu beachten seien.

 

Restegewinnungskosten nach Mesenhöller

Ermittlung von Gebäude-Versicherungswerten, Adolf Mesenhöller, Karl-Joachim Frahm, 5. Auflage, Theodor Oppermann Verlag, Hannover, 2000

5.12 Restegewinnungskosten

 

Restegewinnungskosten - auch Gewinnungskosten genannt – können der Wiederverwendung beschädigter Teile dienen und sind dann Teil der Wiederherstellungskosten. Sie sollten jedoch gesondert ausgewiesen werden.

Anmerkung:
Eine unklare Definition, kaum kompatibel mit dem Versicherungsrecht und den Sachversicherungsbedingungen. Wenn mit den Resten die Baureste gemeint sind, die erhaltenswert sind, dann sind die Kosten, die anfallen, um diese Baureste weiter zu benutzen entweder

  • Aufräumungs- und Abbruchkosten oder
  • Schadenminderungskosten

Diese Kosten gehören nicht in den Sachschaden, sondern in den Kostenschaden. Ob unter es über diese beiden Kostenarten hinaus noch andere "Gewinnungskosten" gibt ist eher unwahrscheinlich.

 

Restegewinnungskosten können aber auch dem Verkauf von Altmaterial dienen.

Anmerkung:

Wenn nun mit Restegewinnungskosten die Restwerte gemeint sind, dann reduzieren Restwertgewinnungskosten die Restwerte. Beispiel: Ein Stahlträger ist verformt nach einem Brand und muss ausgetauscht werden. Wenn er kontaminiert ist, gehören die Dekontaminationskosten in den Kostenschaden. Jetzt könnten aber noch Kosten anfallen, um den Träger für eine gewisse Summe X zu verkaufen, z.B.ein Biegezugtest oder eine chemische Analyse des Stahls. Diese Kosten reduzieren den Restwert. Die Restwerte gehen ja als Minus-Positionen in die Sachwertermittlung ein.

 

Sie mindern dann den Wert der anrechenbaren Reste.

Anmerkung:

Hier wäre eine klare Definition hilfreich. Wenn die Baureste mit Reste gemeint sind, trifft der satz nicht zu, wenn die Restwerte gemeint sind, können Kosten die  Restwerte reduzieren. Es sind aber nicht die oben genannte Kosten des Kostenschadens. Die "Restwertgewinnungskosten" müssen dann genau definiert werden. In unserer über 40-jährigen Gutachtenpraxis ist der Fall nie vorgekommen.

 

Übersteigen sie den Wert der Reste, so handelt es sich bei der Differenz um Abbruchkosten.

Anmerkung:

Das ist nicht zu verstehen, hier sind Diskussionsbeiträge erwünscht.

 

Soweit Restegewinnungskosten für wiederverwendbare Teile anfallen, sind diese Gewinnungskosten zum Neuwert ohne Wertminderung auszuweisen.

Anmerkung:

Das ist auch klar, weil diese Kosten in den Kostenschaden gehören, dort gibt es keine Zeitwertabminderungen.

 

Dies gilt sowohl bei Neuwert-als auch bei der Zeitwertentschädigung und gleichermaßen bei Neubauten unter Verwendung einzelner alter Teile wie auch bei bloßen Reparaturschäden.

Anmerkung:

s.o.

 

Im annähernden Bereich des Totalschadens müssen Gewinnungskosten gesondert ermittelt werden, um zu erkennen, ob der Wert der anrechenbaren Reste vollkommen aufgezehrt wird oder gar diese übersteigt. Dann fallen Abbruchkosten an.

Anmerkung:

s.o., Definition unklar

 

Die Restegewinnungskosten mindern die Restwerte oder erhöhen die Wiederherstellungskosten.

Anmerkung:

Das ist richtig, wobei es vorzuziehen ist, wenn man den Begriff Gewinnungskosten benötigt, von "Restwertgewinnungskosten" zu sprechen.

 

Einschätzung

Die Frage der Einschätzung der Probleme aus der falschen Restwertbewertung ist für die Zukunft einfach zu beantworten: wenn Sachverständige und Versicherungsregulierer die Vorschriften einhalten, gibt es keine Probleme und keine Ungerechtigkeiten für die Versicherungsnehmer in diesem Punkt.
Eine Einschätzung der Problematik für bereits abgeschlossene und abgerechnete Schäden sollte Juristen vornehmen, die Frage der Haftung und Nachhaftung ist für uns völlig offen. Dabei geht es, was die Schadensummen angeht, nicht um Lappalien, sondern insgesamt um Summen im zweistelligen Millionenbereich (Schätzung für die letzten 10 Jahre).
Betroffene Versicherungsnehmer sollten Ihre Schadensberechnung auf den Punkt "Restwerte" überprüfen bzw. von einem Team geeigneter Juristen und Sachverständige überprüfen lassen.

 

 

Erstveröffentlichung 15. April 2018, minimale Aktualisierungen

aktualisiert: 14.8.2020

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter Nehring (Montag, 09 September 2019 11:52)

    Gut recherchiert, und strukturiert dargestellt.

    Gruß Peter Nehring